
Wir leben in einer Welt, in der unsere Sinne oft überbeansprucht werden. Wir sind einer ständigen Reizüberflutung ausgesetzt ist, z.B. in Form der ständigen Erreichbarkeit mittels moderner Medien, oder in urbanen Räumen mit den vielen parallelen Geräuschen und visuellen Reizen. Die Natur bietet einen Rückzugsort. Mit ihren ausgleichenden und gleichzeitig sinnesstimulierenden Eigenschaften bietet sie sich als Erlebnis-Raum an, der anregt, ohne laut zu sein. Der fordert, ohne zu überfordern. Die Natur ist eine Kraft- und Inspirationsquelle, wir finden in ihr Metaphern und Symbole, die uns an Aspekte unseres eigenen Lebens erinnern. Der Aufenthalt in der Natur stärkt das Immunsystem, wirkt sich positiv auf Herz und Kreislauf aus, ist stimmungsaufhellend, stressmindernd, aufmerksamkeitsfördernd und entspannend.
Die Resonanztheorie von Hartmut Rosa
Die Resonanztheorie von Hartmut Rosa (2016) beleuchtet die Beziehung zwischen Menschen und der Welt. Er versteht Resonanz als eine Grundsehnsucht eines jeden Menschen nach einer Welt, die einem antwortet. Er begründet dies damit, dass Menschen “Beziehungsmenschen” sind und sich ohne Resonanz nicht lebendig fühlen (Schnabel, 2014; Kaminski, 2019). “Ob wir unser Leben als gelingend empfinden, hängt von der Beziehungsqualität ab, die wir zur Welt als Ganzes haben. Dafür brauchen wir Beziehungen zu Menschen und Dingen, die etwas in uns ansprechen, eine Resonanz auslösen” (Kaminski, 2019). Resonanz definiert er als “das momenthafte Aufscheinen, das Aufleuchten einer Verbindung zu einer Quelle starker Wertungen in einer überwiegend schweigenden und oft auch repulsiven Welt” (Rosa, 2016, S. 317). Die Erfahrung von Resonanz (=Resonanzerfahrung) bezeichnet er als “den Moment der wechselseitigen, transformativen und verflüssigenden Begegnung und Berührung” (Rosa, 2016, S. 334). Dies ist nicht mit Harmonie und ausschließlich angenehmen Gefühlen gleichzusetzen – auch in als unangenehm empfundenen Situationen kann Resonanz erfahren werden, beispielsweise im Streit oder bei Irritationen (Kaminski, 2019). Widerspruchsbereitschaft und -fähigkeit sind für Rosa sogar Voraussetzungen für Resonanzbeziehungen, denn ohne diesen Widerstand ergibt sich nur ein “Echo” des Eigenen (Rosa, 2016, S. 327).
Resonanzachsen
Wie gelingt es in Resonanz zu gehen und Resonanz zu erfahren? Rosa nennt im Rahmen seiner Resonanztheorie drei Resonanzachsen, die Menschen aufsuchen können, um mögliche Resonanzerfahrungen zu machen, durch die sich Resonanzbeziehungen bilden. Diese bieten keine garantierte Resonanzerfahrung, da Resonanz nicht plan- und kontrollierbar ist, aber konstante Orientierungspunkte, um die Wahrscheinlichkeit einer Resonanzerfahrung zu erhöhen oder eine Resonanzbeziehung zu etablieren. Diese drei Achsen bezeichnet er als eine Form eines “Drahtes zur Welt” (Rosa, 2016, S. 25): Die horizontale Achse (die soziale, zwischen zwei oder mehr Menschen), die diagonale Achse (die stoffliche, zu Dingen und Tätigkeiten wie beispielsweise dem Schreiben) sowie die vertikale Achse (die existenzielle), zu welche er die Natur, die Kunst und die Spiritualität zählt. Dabei etabliert sich die Resonanzbeziehung zur Natur nicht über kognitive Lernprozesse und rationale Einsichten, sondern resultiert aus praktisch-tätigen und emotional bedeutsamen Erfahrungen (Rosa, 2016, S. 461). Er bringt zudem den Begriff des Resonanzraumes ein, der sich als Kontext welcher Resonanz begünstigt beschreiben lässt, und dessen Qualität geprägt ist durch die Resonanzbeziehungen.
Resonanz und Entfremdung
Er stellt Resonanz als eine wichtige Voraussetzung für psychisches Wohlbefinden heraus, indem er z.B. Burnout als Ergebnis des dauerhaften Ausbleibens von Resonanz beschreibt, welches zur Entfremdung führt. „Entfremdung bezeichnet eine spezifische Form der Weltbeziehung, in der Subjekt und Welt einander indifferent oder feindlich (repulsiv) und mithin innerlich unverbunden gegenüberstehen (. …) Entfremdung definiert damit einen Zustand, in dem (…) die Welt stets kalt, starr, abweisend und nichtresponsiv erscheint (…)“ (Rosa, 2016, S. 316).
Bedingungen die Entfremdung begünstigen und Resonanz bedingen
Die Schnelllebigkeit unserer Welt und die Beschleunigung die dem heutigen westlichen Wirtschafts- und Sozialsystem zugrunde liegt fördert die Entfremdung, indem sie den Fokus auf Kontrolle, Steigerung, Optimierung und Sicherheit legt und die Angst etwas zu verpassen vorantreibt: “Wir leben in einer Gesellschaft, die aufgrund von Wettbewerbszwängen zu ständiger Optimierung gezwungen ist, weil wir sonst unseren Platz in der Welt nicht halten können – weder als Unternehmen noch als Mitarbeiter. Und wir lernen dabei, dass es gefährlich ist, sich auf eine Sache einzulassen, von der wir nicht wissen, was dabei herauskommt” (Kaminski, 2019). Dabei sind eine gewisse Unkontrollierbarkeit und Unberechenbarkeit des Gegenübers essentiell, um überhaupt eine Resonanzbeziehung aufbauen zu können: “Entscheidend ist, dass es das Andere ist, das zu uns spricht, etwas außerhalb von uns, das wir nicht kontrollieren können, vielleicht auch nicht vollständig verstehen” (Kaminski, 2019). Damit wird deutlich, dass Resonanz ein gewisses Maß an Unbekanntem und Ungewissem voraussetzt: “In der Begegnung mit diesem Fremden setzt (…) ein dialogischer Prozess (…) ein, der die Resonanzerfahrung konstituiert” (Rosa, 2016, S. 317). Er sieht Resonanz als einen Beziehungsmodus und eine Antwortbeziehung, welche von einer gegenseitigen Berührung und Transformation geprägt sind (3Sat, 2021). Für die Berührung sind Liebe, Achtung und Wertschätzung wichtige Voraussetzungen (Rosa, 2016, S. 25).
Resonanz als flüchtige, momenthafte Erfahrung in einer Resonanz-versprechenden Gesellschaftsstruktur
Ein wesentliches Merkmal von Resonanzerfahrungen ist ihr vorübergehender Charakter. Denn Resonanz ist flüchtig und momenthaft – Rosa nennt es unverfügbar – und ist damit nicht planbar. Gerade das Bewusstsein für die Vergänglichkeit eines Resonanzmomentes kann laut Rosa eine Resonanzerfahrung sogar noch vertiefen (Rosa, 2016, S. 204). Er geht davon aus, dass sich Resonanz nicht erzwingen lässt, und dass Resonanz nur dann entstehen kann, wenn eine gewisse Ergebnisoffenheit besteht, d.h. etwas abseits von einem rein zweckbestimmten und zielorientierten Handeln getan wird (Rosa, 2016, S. 635). Genau dies ist, so argumentiert er, in einer kapitalistisch orientierten Gesellschaft unüblich. Sie lässt Menschen ihre Sehnsucht nach Resonanz gar in “Objektbegehren” umwandeln: “Es gibt praktisch kein Produkt, das nicht mit Resonanzversprechen verkauft wird: Kauf diesen Apfel und du wirst Natur pur erleben, kauf dieses Deo und du wirst neue Freunde finden. Wir erhalten ein Beziehungsversprechen, geliefert wird aber immer nur ein Objekt. Letztlich sind wir davon immer enttäuscht, aber nie so sehr, dass wir uns beim nächsten Versprechen nicht erneut Hoffnungen machen. So wird die Wirtschaft trotz großer materieller Sättigung in der Gesellschaft erfolgreich am Laufen gehalten” (Kaminski, 2019).
Eine wichtige Unterscheidung ist demnach die der zwischen Resonanz und die der Erwartungen an einen möglichen emotionalen Zustand: Eine Reise, die mit dem Verlangen nach einer Resonanzerfahrung angetreten wird, um sich wieder entspannt zu fühlen, oder das Eingehen einer Beziehung mit dem Gedanken “er/sie wird mich glücklich machen”, wird nicht zu einer Resonanzerfahrung führen, da beide an konkrete Ziele bzw. Erwartungen geknüpft sind, welche Resonanz fernhalten. Auch “sinnliche Überwältigung” (z.B. bei Konzerten, die mit “überwältigenden Shows” beworben werden) führt laut Rosa nicht zu Berührung, Antworten und Transformation (3Sat, 2021), sondern dämpft eher die Resonanzfähigkeit, weil es sich hierbei um einen vorwiegend passiven Konsum handelt. Resonanzerfahrungen sind hingegen von einer gegenseitigen Berührung und einer erwartungsfernen Haltung geprägt. Er spricht auch von einer “Sehnsucht nach Resonanz”, die er u.a. in der intensiven Nutzung von Sozialen Medien gespiegelt sieht: “Soziale Medien zeigen sehr schön die Sehnsucht der Menschen, resonant mit der Welt verbunden zu sein. Gerade deswegen sind sie so attraktiv, sie gaukeln echte Resonanz aber nur vor. Die neuen Medien verstärken noch ein anderes Verhalten: Wir haben uns angewöhnt, die Welt nach immer interessanteren Optionen zu scannen. Dahinter steckt die Angst, irgendwo etwas zu verpassen. Dann kann ich aber nicht in eine Resonanzbeziehung treten. Die setzt nämlich voraus, dass man Aufmerksamkeit fokussiert und alles andere loslässt – nach dem Motto: Ich werde etwas verpassen, aber das ist mir die Sache wert” (Hummel, 2016).
Kritik an der Resonanztheorie
Eine oft zitierte Kritik an Rosas Resonanztheorie ist, dass er einerseits auf Resonanzachsen hinweist, an denen Resonanzerfahrungen möglich sind, und andererseits die Unverfügbarkeit von Resonanz hervorhebt (Wetzel, 2017, S. 54). Kritiker sehen dies als Widerspruch, da Menschen diese Achsen aufsuchen, um Resonanz zu erfahren, und deshalb ein Ziel, einen Zweck verfolgen und Erwartungen an eine Resonanzerfahrung haben. Ich stimme der ersten Aussage zwar zu, verstehe seine Theorie jedoch dahingehend, dass er die Offenheit dem Ergebnis gegenüber, d.h. keine Versteifung auf das Ziel der Resonanzerfahrung, als Voraussetzung kommuniziert. Denn keine Erwartungen zu haben kann oft nur in Momenten funktionieren, in denen wir spontanen, überraschenden Situationen ausgesetzt sind. Resonanz kann aber auch entstehen, wenn wir eine Resonanzachse bewusst aufsuchen und Erwartungen haben – aber nur dann, wenn wir ihnen gegenüber nicht versteift sind, von unseren Erwartungen nicht vereinnahmt sind, d.h. auch bereit sind, ein anderes Ergebnis anzunehmen.
Literatur:
3sat [Wissen]. (2021, Februar 14). Prof. Dr. Hartmut Rosa: Sinnsuche und Resonanzbedürfnis [Interview]. Abgerufen am 5.05.2021 von https://www.3sat.de/wissen/tele-akademie/hartmut-rosa-sinnsuche-100.html
Hummel, A. (2016). Soziologe Hartmut Rosa – wie das Leben gelingen kann [Interview]. Abgerufen am 10.05.2021 von https://sciencev2.orf.at/stories/1769040/index.html
Kaminski, R. (2019). Hartmut Rosa – Rezepte für ein besseres Leben [Interview]. Abgerufen am 12.05.2021 von https://www.migros.ch/de/Magazin/2019/rezepte-fuer-ein-besseres-leben.html
Rosa, H. (2016): Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung. Berlin: Suhrkamp
Schnabel, U. (2014). Hartmut Rosa – Warum wir am glücklichsten sind, wenn wir mit anderen mitschwingen können [Interview]. Abgerufen am 20.05.2021 von https://www.zeit.de/2014/34/hartmut-rosa-ich-gefueh
Wetzel, D. J. (2017). Resonanz in der Soziologie – Positionen, Kritik und Forschungsdesiderat. In T. Breyer, M. B. Buchholz, A. Hamburger, S. Pfänder & E. Schumann (Hrsg.), Resonanz – Rhythmus – Synchronisierung. Edition Kulturwissenschaft, Band 108 (S. 47-64). Bielefeld: transcript Verlag