
Was genau Kunsttherapie ist, werde ich häufig gefragt. Hier ein paar kurze Zeilen zu meiner Arbeit in einer psychiatrischen Klinik als klinische Kunsttherapeutin, und wie ich meine Arbeit dort erkläre und ausführe.
Kunst als Sprache
Gefühle, Stimmungen, Empfindungen – manches lässt sich in Worten schwer ausdrücken. Mithilfe von z.B. Bildern, Fotografien, Farben, Formen und Symbolen können neue Ausdrucksformen gefunden werden, die das Unsichtbare sichtbar, das Gespürte spürbar und das Ungreifbare greifbar machen.
Der Weg ist das Ziel
Kunsttherapie ist prozessorientiert, d.h. nicht nur die fertige Gestaltung steht im Fokus, sondern vielmehr der Prozess. Nicht immer entsteht ein fertiges Bild, manchmal sind es Übergangsobjekte die etwas für eine kurze Zeit darstellen oder widerspiegeln, ein Foto das Erinnerungen weckt, ein Gedicht das ein Gespräch über ein belastendes Thema ermöglicht, oder ein Rechtschreibfehler der den inneren Kritiker laut werden lässt und zu einer Auseinandersetzung mit dem Thema Leistungsdruck oder Perfektionismus führt.
Erlebtes reflektieren
Durch das bildliche Darstellen oder das In-den-Raum-bringen von Erlebnissen können wir sie besser verstehen und reflektieren. Unausgedrücktes und Unterdrücktes wird kommunizierbar. Wir schaffen uns mit jeder Gestaltung eine Art Gegenüber, das besprechbar wird. Die eigene Wahrnehmung wird durch die Wahrnehmung anderer ergänzt, und kann zu neuen Erkenntnissen über sich und den Blick auf die Welt führen.
Probehandeln
In der Kunst können wir experimentieren und ausprobieren. Wir können in einem Bild Ideen darstellen oder so tun als ob – was passiert in und mit mir, wenn ich die Farbe mit Wut und Kraft aufs Papier schmeiße? Was für Konsequenzen hat es, wenn ich statt wie sonst üblich mit Lineal, Bleistift und Vorlage mal mit Flüssigfarben frei ohne Motividee male?
Wie fühlt sich das an?
Malen, zeichnen, collagieren, kreatives Schreiben, töpfern, kleben, reißen, schneiden – beim künstlerischen und kreativen Arbeiten sind wir mit allen Sinnen aktiv. Jedes Material hat unterschiedliche Eigenschaften, fühlt sich anders an. Ton hat einen erdigen Geruch, Pastellkreiden sind weich und haben eine pudrige Konsistenz, Graphit ist hart und kühl, Pinselstiche hinterlassen sanfte Geräusche, Duftöle und Naturmaterialien regen den Geruchssinn an. Jede Technik fordert uns auf eine gewisse Art: Beim Actionpainting ist der ganze Körper aktiv, Aqurellfarben konfrontieren uns mit dem Thema Kontrolle vs. Loslassen, wirken auf einige befreiend, auf andere herausfordernd.
Anders denken
Wir alle haben bestimmte Denkmuster, Denkstrukturen und Denkgewohnheiten. Manchmal wird daraus starres, eindimensionales Denken, oft verkleidet als “rational” und “logisch”. In der Kunsttherapie können neue, kreative Denkwege ausprobiert und eingeübt werden. Dadurch wird Kreativität und flexibles Denken gefördert, und es können alternative Perspektiven auf bekannte Situationen und Themen entstehen.
Flow & Entspannung
Gedankenpausen können durch gezielte kunsttherapeutische Interventionen erlebt werden. Bei kreativen Tätigkeiten vergessen wir Raum und Zeit für einen Moment, sind ganz in der Gegenwart verankert. Besonders hilfreich für sehr aktive oder grübelnde Geister und jedem der gedanklich viel in der Vergangenheit feststeckt oder immer wieder in Zukunftsängste abdriftet.
Unbewusstes bewusst machen
Wie wir im Gestaltungsprozess handeln oder denken, so handeln und denken wir häufig auch im Alltag. Es können sich Präferenzen, Bedürfnisse, Gedanken- oder Verhaltensmuster zeigen, die wir zuvor nicht bemerkt haben. Der Blick auf ein Bild kann überraschende Assoziationen, Emotionen oder Fragen wecken, die gemeinsam therapeutisch reflektiert werden können.
Jede Stunde ist anders
Die Kunsttherapie ist fester Bestandteil des therapeutischen Angebot. Den Therapiezielen entsprechend stimme ich jede Kunsttherapie-Stunde auf die Situation und Bedürfnisse der Patient*innen ab. Der Fokus kann auf stärkende, stabilisierende, ressourcenorientierte Elemente, oder auf belastende, problembesetzte, symptombasierte Inhalte gelegt werden. Manchmal werden Themen aus der Gesprächstherapie aufgegriffen, oder es ergeben sich innerhalb der Kunsttherapie neue oder verdrängte Themen, die im multiprofessionellen Team gemeinsam in die Therapie eingebettet werden.
Kunsttherapie in der Gruppe
Einmal wöchentlich findet das “Offene Atelier” statt. Ein offenes Gruppenangebot bei dem alle die Möglichkeit haben, verschiedene Materialien auszuprobieren und freies Gestalten zu üben. Am Ende gibt es eine optionale Reflexionsrunde bei der die Werke und Gestaltungsprozesse gemeinsam reflektiert werden. Welches Material liegt mir? Wie ging es den anderen? Wie blicke ich auf mein Bild – eher kritisch oder wertschätzend? Was nehmen andere wahr? Bin ich auf das Gestalten konzentriert, oder wandert meine Aufmerksamkeit eher zu dem was um mich herum passiert? Was erlebe ich als angenehm und hilfreich, was irritiert und stört?